Illuminatenaufsätze im Kontext der Spätaufklärung. Ein unbekanntes Quellenkorpus
Die Eule der Minerva lässt sich auf einem Buch nieder und repräsentiert dadurch die enge Verbindung von Weisheit mit dem geschriebenen Wort. Diesem allgemein bekannten Symbol der Illuminaten, vom Ordensgründer Adam Weishaupt prominent auf einem Titelblatt platziert, nun endlich auch eine ‚inhaltliche‘ Füllung zu geben, wird sich ein Forscher-Team unter Federführung von Martin Mulsow am Forschungszentrum Gotha ab dem Frühjahr 2013 anschicken. Der innovative Projektantrag zum Thema wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) genehmigt und sichert die Finanzierung der Forschungsarbeit nun für mindestens zwei Jahre.
Bisher kannte man als Dokumente des Illuminatenordens vor allem Druckschriften, Gradentwürfe und Briefe. Nun kommt ein völlig neues Korpus hinzu, dessen Erforschung in Gotha stattfinden wird: es handelt sich dabei um 114 ungedruckte Aufsätze, die auf Zusammenkünften mitteldeutscher Illuminaten verlesen wurden. Das Themenspektrum dieser Aufsätze ist breit gefächert: Diese Vielfalt reicht von der Epistemologie bis hin zur praktischen Philosophie, vor allem aber werden weltanschaulich-moralische Fragen erörtert. In der Summe ihrer Diversität spiegeln sie die Interessen der spätaufklärerischen Öffentlichkeit sehr genau wider und ermöglichen somit einen Einblick in aufklärerisch-motivierte Reformbestrebungen nicht nur am fürstlichen Hof, sondern auch in die Möglichkeiten und Reichweite sogenannter ‚Volksaufklärung‘.Mit diesem einzigartigen Quellenmaterial ergibt sich die Chance, sowohl die kommunikative Praxis innerhalb des Illuminatenordens als auch die Beziehungen der internen Debatten zu allgemeinen Diskursen der deutschen Spätaufklärung zu erforschen. Das Korpus verändert radikal den Blick auf den Orden: nicht mehr Geheimnis, Exklusivität und Gradordnung stehen jetzt im Blickpunkt, sondern Alltag, Durchlässigkeit und Vernetzung mit anderen Aufklärern. Transparenz gelangt erstmals in Teilen in Reichweite. Die Diskussionskultur innerhalb der lokalen Gruppierungen kann durch die Abgleichung der Aufsätze mit Protokollen, Briefen und Tagebüchern mikrohistorisch minutiös kontextualisiert werden. So nah wie man hier an und in den Illuminatenorden kommen kann, war das bisher nicht denkbar. Dem Nimbus des Nebulösen, der dem Illuminatenorden und seinen Mitgliedern nachwievor anhaftet, kann durch seriöse, quellenbasierte Forschung auf einer neuen Ebene begegnet werden. Die Mauern des arkanen Raums, die durch den exklusiven Geheimbund geschaffen wurden, werden durchsichtiger werden.
Auf der anderen Seite können die Aufsätze, von denen oft mehrere gleiche Themen bearbeitet haben, miteinander verglichen und mit publizierten Schriften des „öffentlichen“ Diskurses in Beziehung gesetzt werden, so dass eine Topographie von Debatten sichtbar wird und neues Licht auf die Spätaufklärung als Ganzes wirft. Dabei werden auch philosophsiche Themen zum Gegenstand werden, die sich nur am Rande oder gänzlich außerhalb akademischer Interessenssphären bewegen, nichtsdestotrotz aber in öffentlichen Debatten, gerade auch in den Zeitschriften der Zeit, zu massiven Diskussionen führten.
Man kann es durchaus als Glücksfall bezeichnen, dass die Forschungen zu den Aktivitäten des Illuminatenordens in Mitteldeutschland am unmittelbaren historischen Schauplatz stattfinden werden. Überdies besteht mit diesem Projekt die berechtigte Hoffnung, den Standort Gotha mit seiner einzigartigen Archiv- und Bibliothekslandschaft auf dem Friedenstein mittelfristig als ein Zentrum der Illuminaten-Forschung ausbauen zu können. Ein erster Schritt in diese Richtung soll mit einer internationalen Tagung zur Philosophie der Illuminaten gemacht werden, die weitere namhafte Forscher am FGE versammeln wird.
Ansprechpartner: Prof. Dr. Martin Mulsow
Finanzierung: DFG
Laufzeit: Frühjahr 2013 bis 2015