Unter der Überschrift „Ans Licht gebracht“ werden hier zukünftig in loser Folge einzelne Fundstücke aus unserer Arbeit zu „Gotha um 1800. Natur – Wissenschaft – Geschichte“ präsentiert. Den Anfang macht eine tierische Entdeckung, mit der wir etwas verspätet zum Jahresbeginn 2019, aber pünktlich zum heute beginnenden Jahr des Schweins alle guten Wünsche verbinden!
Im Zuge der Bearbeitung der mineralogisch-geologischen Sammlung der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha stießen wir kürzlich auf zwei merkwürdige Objekte, die so gar nicht mineralischen Ursprungs zu sein schienen. Dem beiliegenden Etikett nach sollte es sich um Pyrolusit (ein Weichmanganerz) handeln, doch diese Zuschreibung stellte sich schnell als Probenverwechslung heraus, die leider nicht selten vorkommt. Der zoologische Präparator Peter Mildner wusste hingegen Rat und identifizierte die Stücke als Schweinezähne. Doch was hatten diese in der mineralogischen Sammlung zu suchen?
Das Lederfutteral, in dem einer der Zähne verwahrt wird, deutete auf den ehemaligen Kunstkammer-Bestand hin, und tatsächlich fand die Mitarbeiterin im Editionsprojekt Historische Kunstkammerinventare, Agnes Strehlau, einen aufschlussreichen Hinweis im Verzeichnis von 1717:
(fol. 173v)
109. Eine Schlangen Crone in einem schwartzen Futteral.
Im Inventar von 1764 wird es dann noch etwas genauer:
(fol. 167r)
Eine Schlangen-Crone, No. 181.
Eine dito in einem futteral.
Zwei alte Schlangenkronen also! Wahrscheinlich kamen sie über Herzog Friedrich I. in die Kunstkammer, der ein Freund alles Alchemischen und Magischen war. Der berühmte Amsterdamer Sammler Albert Seba hatte in seinem Kabinett ebenfalls solche Stücke, doch sprach er ihnen schon 1730 jede magische Wirkung ab, da er erkannte, dass es sich um Milchzähne von Ferkeln handelt. Dessen ungeachtet konnte man noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der Hausväterliteratur detaillierte Anweisungen darüber lesen, wie man in den Besitz einer echten Schlangenkrone kommen könne:
„Die Schlange, die mit solchem Steine prangt, ist niemals allein, sondern wird, wie die Königin der Schlangen, jederzeit von anderen Schlangen bewachet und begleitet, also, daß ihr nicht beyzukommen ist, jedoch könnte man ihn in folgender Weise erlangen: Man müßte ein Geschirr haben von Erden, überall durchlöchert, und in dieses eine lebendige Schlange thun, und auf einen starken Ameisenhaufen legen, da ohnweit davon ein Eichbaum stehet, auf welchem ein guter Schütze seyn muß mit fixem Geschoße. Wenn nun die Schlange in dem durchlöcherten Geschirr durch die häufig darein laufenden Ameisen gebissen wird, so pfeifet sie den anderen Schlangen um Hülfe, die denn von allen Orten häufig herzu kommen, auch die Königin mit dem Steine, und andere gekrönte Schlangen, da denn der Schütz auf dem Baum nicht saumselig seyn muß, die Königin zu treffen. Sobald diese todt ist, machen sich die anderen Schlangen davon. Was die Schlangenkronen anbelanget, so ist kein Zweifel, daß derer viel Gattungen sind; hingegen werden auch von den Landfahrern viel falsche herum getragen, die aus Schweinen-, Ochsen- und Kälberzähnen gemacht sind. Von den rechten wüßte ich keine andere Tugend, als daß sie wider den Gift dienen.“ (Anonym 1798: Zwey hundert vier und siebzig bewährte Geheimnisse oder allerhand magische, spagyrische, sympathetische, antipathetische und ökonomische Kunststücke, Altona und Leipzig 1798, S. 64-65).
Die zwei Milchzähne vom Schwein haben nun eine Erklärung gefunden. Doch wie schade ist es, dass in Gotha nur die falschen Schlangen- bzw. Zahnkronen vorhanden sind, wurden solchen Dingen doch „unbeschreibliche Tugenden“ zugeschrieben, „wider die Gespenster, die Zauberey und Schätze zu entdecken, auch wo sehr reiche Bergwerke sind“ (ebd., S. 64)!
In der geologischen Sammlung befinden sich noch weitere, auf den ersten Blick unscheinbare Stücke, denen man seinerzeit besondere Eigenschaften zuschrieb. Adler-, Stern- und Klappersteine oder die hochwirksame terra sigillata sind nur einige von ihnen. Eine nicht unbedeutende Anzahl von geschliffenen Steinen gehört ebenfalls in diese Kategorie der magischen Objekte. Doch das Wissen darum ging mit der Aufklärung verloren, denn schon die Aufseher der Kunst- und Naturaliensammlung um 1800 versuchten diese Dinge in einen neuen Kontext, nämlich den naturwissenschaftlichen, einzuordnen. Ihre frühere Bedeutung wurde damit unsichtbar, und die Objekte wurden einer neuen Interpretation unterzogen. Heute stehen wir vor der Aufgabe, ihre verschiedenen historischen Bedeutungsschichten wieder ans Licht zu bringen.