Vortrag von Prof. Dr. Stephan Laux (Trier) im Rahmen der Vortragsreihe „Stadtgeschichte schreiben“, Mittwoch, 4.12.2019, 17.15-18.45 Uhr
Stadtgeschichtsschreibung erlebte im 19. Jahrhundert, insbesondere in wilhelminischer Zeit, einen erheblichen Aufschwung. Die zeitgenössischen Akteure, in der Regel Archivare und Lehrer an höheren Schulen, besaßen allerorten einen ausgesprochenen Expertenstatus: Meist organisiert in historischen Vereinen, verfügten sie über den exklusiven Zugang zu den jeweiligen „Altertümern“ ihrer Heimatstadt und -region.
Im Zuge dessen erwies es sich als ausgesprochener Vorteil, wenn sie selbst sich als Pioniere des kommunalen Archivwesens betätigten und somit die Quellen aus erster Hand kannten (und verwahrten). Unter dieser Voraussetzung verschlossen sie sich den Qualitätsanforderungen der akademischen Geschichtswissenschaft keineswegs, sondern beanspruchten vielmehr, die Geschichtsschreibung auf neue, solide Grundlagen zu stellen und nicht etwa nur Bekanntes zu kompilieren.
Ihr Interesse galt in erster Linie der Stadtgeschichte der Vormoderne, insbesondere der des Mittelalters. Hierin spiegelte sich unverkennbar jener Konservativismus, der historisch affine Bildungshonoratioren im Angesichte der massiven Formveränderungen urbanen Lebens in der Breite auszeichnete. Und doch boten ihre oft in hohen Auflagen erschienenen Stadtgeschichten ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nur selten ein Forum unumwunden antimodernistischer Bekenntnisse: Schließlich sahen sich die Stadthistoriker vor der Herausforderung, die behaupteten Blütezeiten lange vergangener Jahrhunderte mit der in der Moderne entstandenen Prosperität, unweigerlich auch einer nie zuvor dagewesenen sozialen und kulturellen Diversität zu versöhnen.
Der Vortrag beleuchtet die Voraussetzungen und Erträge einer, wie es scheint, völlig aus unserer Zeit gefallenen Stadtgeschichtsschreibung, der die historiographiegeschichtliche Forschung kaum einmal ein systematisches Interesse entgegengebracht hat.
Die Veranstaltung findet im Vortragssaal des Forschungszentrums Gotha, Schloßberg 2, statt. Interessierte sind herzlich willkommen.
Das Programm der Vortragsreihe gibt es hier zum Download.
Beitragsbild: Charles Gore (1729–1807), Stadtansicht Gothas von Nordosten, um 1792, aquarellierte Graphit- und Federzeichnung auf Papier, 15,5 x 48,1 cm, Klassik Stiftung Weimar, Inv.-Nr. KHz, Fotografie: Susanne Marschall