Gastbeitrag von Isabel Heide, Studentin der Geschichte und Politikwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und von Oktober bis November Praktikantin am Forschungszentrum Gotha, in einer Übernahme aus dem FactGrid-Blog vom 2. Dez. 2020.
Die folgende Materialpräsentation ist das Ergebnis eines zweimonatigen Praktikums im Forschungszentrum Gotha. Mein Projekt war es, der Forschung Vorarbeiten zu einem unvollendet gebliebenen Buchprojekt Hermann Schüttlers datenbankgestützt auf den FactGrid-Seiten zugänglich zu machen. Es handelte sich hierbei um Transkriptionen von 71 Dokumenten aus dem inneren Machtzirkel des Illuminatenordens der Jahre 1781 bis 1785. Im Gegensatz zu den von Hermann Schüttler und Reinhard Markner zuvor bereits vorgelegten Bänden der Illuminatenkorrespondenz steht hier das interne Berichtswesen des Ordens im Zentrum. Das Corpus birgt:
- 12 für den Orden verfasste (Auto-)biographien,
- 26 Inspektionsberichte,
- 29 Sitzungsprotokolle der bisher wenig bekannten „zweiten“ Minervalkirche Frankfurts; zu ihnen kommen drei Protokolle der Gothaer Minervalkirche und eines aus Weimar.
Es galt dabei erstens, die unterschiedlich umfangreich verfußnoteten Transkripte im Gesamtumfang von bislang 237 Seiten von ihren Word-Dateien in Wiki-Seiten des FactGrid zu überführen, sie dabei mit kurzen Einleitungen zu versehen und die Fußnotung an die Datenbank anzukoppeln oder in einem Großteil der Dokumente erst durch eigene Recherche zu erstellen – bei den Inspektionsberichten kamen im Extremfall über 200 Fußnoten im Einzeldokument in den Blick. Zu allen Dokumenten waren im zweiten Schritt Datenbankobjekte anzulegen, die die Transkripte grundlegend erschließen und Datenbankrecherchen zugänglich machen. Zentral war hier die Erfassung von Autor, Entstehungsort und -datum; erwähnten Personen, Orten und Themen. Zu den Protokollen von Sitzungen wurden zudem Ereignis-Datenbankobjekte angelegt, an die sich nun eigene Fragen, etwa zu Nachweisen persönlicher Begegnungen von Sitzungsteilnehmenden, stellen lassen.
Nachfolgend:
- Einige erste inhaltliche Ausführungen zu den hiermit zugänglich gemachten Dokumenten
- Einige Bemerkungen zur technischen Realisation und zu Problemstellen der Datenbanksoftware, die hier zur Nutzung kommt
- Alle Dokumente, Transkripte und Ereignis-Datensätze dieses Projektes chronologisch sortiert
Wissensakkumulation in der Phase des rasant wachsenden Geheimordens
In die erste Phase des Illuminatenordens – die Phase des primär bayerischen Ordens unter der unmittelbaren Führung Adam Weishaupts – gaben 1787 die Aktenveröffentlichungen des Bayerischen Staates Einblick, die den Orden noch im Sommer 1787 im Raum der deutschen und österreichischen Territorien kollabieren ließen. Über die Spätphase des Ordens, in der unter Johann Joachim Christoph Bode Thüringen zum neuen Zentrum wurde, sind wir auf der anderen Seite aus den Dokumenten der Schwedenkiste informiert.
Die Dokumente, die Hermann Schüttler vorliegend transkribierte, stammen vor allem aus dem Nachlass Adam Weishaupts und dem Sonderarchiv Moskau. Einige Dokumente der Schwedenkiste kamen hinzu. Zusammen geben sie einen Einblick in die turbulente Zwischenphase, in der Adolph Freiherr von Knigge für das große Wachstum des Ordens sorgte. Berichterstatter sind dabei unter anderem Johann Martin Graf zu Stolberg-Roßla, Franz Dietrich Freiherr von Ditfurth und am häufigsten Knigge selbst. Gemeinsam präsentieren sie ein multiperspektivisches Bild der mit dem Wachstum kommenden Anforderung, Überblick zu wahren. Noch in diesen Versuchen wird klarer, dass es keine gemeinsame Ordenspolitik mehr gibt und kaum noch eine Chance, intern abzustimmen, wer in diesen Orden aufgenommen wird und Karriere macht. Zerreißproben tun sich mit Einzelfällen auf, über die es zum Streit kommen würde, wenn alle Informationen im Orden öffentlich würden; der Konflikt des Ordens mit Knigge erweist sich dabei als mehr denn ein Konflikt zwischen diesem und Weishaupt, dem Ordensinitiator.
Exemplarische Selbstauskünfte
Alle neuen Mitglieder mussten eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen: das Revers. Sie beantworteten Fragen zu ihren Erwartungen an die unbekannte Organisation, die sich ihnen damit inmitten der Freimaurerei auftat und waren aufgefordert, autobiographische Selbstauskünfte einzureichen. Zwölf dieser Selbstauskünfte umfasst die Textauswahl. Es handelt sich hierbei überwiegend um kurze Lebensläufe und um einem Frageraster folgende Reflexionen über verschiedene Aspekte der eigenen Person vom physischen Zustand bis zum politischen und moralischen Charakter. Hinzu kamen standardisierte Fragen, beispielsweise für die Aufnahme ins Schottische Noviziat, die in Stichworten beantwortet wurden. Häufig wählten die Verfasser jedoch eine freiere Form und schilderten in Fließtexten mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten ihre wichtigsten Lebensstationen und zwischenmenschlichen Beziehungen.
In einem offenkundigen Zusammenhang zu den übrigen Dokumenten dieser Materialsammlung stehen die (auto-)biographischen Einlassungen Q175807 und Q175808 zu Christian Gottlob Neefe. Neefe war im hier dokumentierten Zeitraum als Gast der „zweiten“ Minervalkirche Edessas/Frankfurts aktiv. Bei den Teilnehmenden aus den drei Sitzungsprotokollen in Gotha gibt es weitere Überschneidungen mit fünf der autobiographischen Texte. Zwei Autobiographien stammen von Mitgliedern aus Neuwied, die dortige Minervalkirche taucht häufig als einflussreiches Zentrum in den Inspektionsberichten auf. Bodes autobiographische Selbstauskunft rundet die Auswahl ab – der zukünftig zentrale Akteur des Ordens ist hier mit im Geflecht der Selbstaussagen vertreten.
Besonders gewinnbringend war die Bearbeitung der autobiographischen Texte im Hinblick auf die Details, die sich aus ihnen für die bestehenden Datensätze ziehen ließen. So konnten bei jeder der Personen Aussagen zu Aufenthalten, Berufen und ähnlichem ergänzt werden. Noch spannender waren ihre Informationen für die Verdichtung von Netzwerken. Durch die Erwähnung von Verwandten, Freunden, Arbeitgebern und anderen Personen, die die eigene Entwicklung prägend tangierten, konnten viele neue Personen angelegt und in Relation zu bereits bestehenden Items gesetzt werden.
Inspektionsberichte: Wie der Orden versuchte, Überblick in der Informationsflut zu gewinnen
Extensive Quellen sind im Set die fünf Inspektionsberichte Stolberg-Roßlas. In ihnen fließen Informationen aus den Minervalkirchen geordnet nach den Provinzen, ihren Präfekturen und deren Minervalkirchen zusammen in einer Berichterstattung, die bis zu den einzelnen Mitgliedern an den verschiedenen Orten hinab reicht.
Dabei steht als größtes strategisches Problem im Raum, dass im Moment mehr Orte auf der illuminatischen Landkarte der geheimen Ordensgeographie als an diesen Orten bereits arbeitende Minervalkirchen zu finden sind.
Der Aufbau der Minervalkirchen verlief über Mitglieder einzelner Logen, die unmittelbar zu hochrangigen Illuminaten „ihrer“ Orte wurden. Von ihnen wurde erwartet, dass sie aus ihren Logen die Mitglieder für die lokalen Minervalkirchen gewinnen. Unter den Mitgliedern machten Studenten eine große Gruppe aus. Zu den flächendeckenden Rekrutierungen kamen die individuellen Vorschläge, die alle Ordensmitglieder machen konnten und über die auf höherer Ordensebene konsistent entschieden werden sollte. Aus den Dokumenten sprechen Konflikte zwischen Beteiligten, die von der Aufnahme anderer erfuhren, mit denen sie keineswegs im selben Orden sein wollten. Gleichzeitig wird sichtbar, dass die Verantwortlichen hier längst in einem Spannungsfeld persönlicher Befindlichkeiten und Verbindlichkeiten agierten, in dem sie im Ernstfall nur noch darauf hoffen konnten, dass Konflikte im Raum des Geheimordens nicht vor der inneren Öffentlichkeit sichtbar werden. Knigge berichtet am 26. September 1782 in diesem Gewirr von Aufnahmen, für die er grünes Licht gab, obwohl er ihr Konfliktpotential absehen konnte:
Mein Plan war, den Epictet nach und nach zu stimmen, und jedem in der Provinz eine Laufbahn zu eröffnen, welche sich nicht kreutzen könnte. Den Hrn. W[und] zu gewinnen, war um so nöthiger, da die neue Freymäurerey die Direction der VIII. Provinz nach Heidelberg verlegt, und ihm die Direction gegeben hat. Ich verlangte als erste Probe der Treue, daß er unsre Leute in der Pfalz mit zu der Sache ziehen sollte … [Tanskript]
Deutlich zeigt sich an dieser Stelle ein nicht mehr zu lösender Widerspruch zwischen der Zentralisierung des Informationsflusses und der Freiheit, mit der die mittlere Führungsebene agieren musste und auch agierte.
Das Berichtswesen, das mit den Dokumenten sichtbar wird, erweist sich als ausgefeilt und modern:
Aus den Minervalkirchen trafen zu allen Personen monatliche Zeugnisse ein. Im Orden wurde, um hier den Überblick zu behalten, ein standardisierter Strichcode eingeführt, mit Hilfe dessen man auf einen Blick zu erfassen hoffte, wo sich besonders interessante Personen sammelten. Aus den Inspektionsberichten schimmert jedoch durch, dass man hier eher erfasste, wo Verantwortliche auf der mittleren Ebene ihre eigene Arbeit in ein besonders gutes Licht zu stellen suchten.
Schwedenkiste Bd. 15, Dokument 406: Anleitung für das interne Berichtswesen im Illuminatenorden
Die Transkripte der Inspektionsberichte geben diese Strichcodes für Hunderte von Personen wieder. Greifbar wird im selben Moment der erhebliche Arbeitsaufwand, den dieses Berichtswesen auch in dieser Kondensierung noch bereitete. Die höhere Hierarchieebene musste Protokolle zusammenführen und Korrespondenzen in alle entstehenden und agierenden Filialen unterhalten. Knigge konnte man hier die Überlastung im Wachstum des Ordens anmerken:
Noch einmal wiederhole ich, was ich nicht genug wiederholen kann: wenn wir|
a.) Das ganze System ausgearbeitet haben,
b.) Wenn jede Provinz ihren Provinzial hat,
c.) Wenn über 3 Provinzen ein Inspector gesetzt ist,
d.) Wenn wir in Rom unsere National-Direction haben:
e.) Wenn mit diesen allen die Areopagiten nichts zu thun haben, sondern im Verborgenen das Ruder führen, folglich nicht entdeckt werden können, nicht so sehr mit verdrüßlichen Details überhäuft sind, sondern das System überschauen, verfeinern, in andere Lander ausbreiten, zur rechten Zeit der dirigirenden Classe beystehen können: – Dann, und nicht eher richten wir etwas aus. Wir bedärfen also dann keiner so lärmenden Anstalten, müßen jeden Provincial in seine Gränzen zurückweisen. – Fahren wir aber fort so in die Kreuz und Quere zu operiren, so sind wir in 3 Jahren gesprengt. Nun zu meinen Berichte… [Transkript]
Die Protokolle der „zweiten“ Frankfurter Minervalkirche und der Konflikt mit Knigge
Die vorgelegten Protokolle aus Frankfurt ermöglichen es, den Konstituierungsprozess einer Minervalkirche exemplarisch nachzuvollziehen und geben einen vertiefteren Einblick in die Geschichte der zwei Minervalkirchen Frankfurts, zwei nacheinander aktiven, verschiedenen Gruppen mit größtenteils denselben Mitgliedern. Die Protokolle der „zweiten“ Frankfurter Minervalkirche zeichnen sich dabei in der Anfangsphase durch die Regelmäßigkeit und Ausführlichkeit sowie formelle Konsistenz aus. Wie später in Gotha traf man sich monatlich in der Minervalkirche und, die höheren Mitglieder, im exklusiven Magistrat. Die Treffen lassen sich mit der Datenbank auf einen Zeitstrahl projizieren und dabei bis auf die Wochentage heranzoomen. Die Frankfurter Teilnehmendenlisten zeugen von Kontinuität und erlauben Rückschlüsse auf die Mitgliederstruktur in diesem Zeitraum. Eingehend erfasst sind in den ersten Monaten jeweils Programmpunkte wie die Planung von gemeinsamen Lesungen und inhaltlichen Diskussionen über Grundsätze der Leitlinien des Ordens, die förmliche Initiation der neuen Magistraten auf einer eigens dafür organisierten, ordentlichen Versammlung und die pünktliche Abgabe schriftlicher Ausfertigungen sowie der Austausch der Quibus Licet und Reprochen, die sich sehr ausführlich dokumentiert in den Transkripten zur weiteren Vertiefung nachlesen lassen.
In den Protokollen werden nicht minder interne Konflikte greifbar, wie sie die Aktivität des Ordens immer wieder nachhaltig prägten. Interessant ist dabei der sich noch vor dem Zerwürfnis zwischen Weishaupt und Knigge aufzeigende Konflikt vor Ort: Am 15. Juni 1783 sollte Johann Ludwig Hetzler nach einer Anweisung der Oberen ein Treffen der vormals aktiven Mitglieder der Minervalkirche Edessa initiieren, um diese nach einem großen internen Streit, der schließlich zur Inaktivität der Gruppe führte, wiederzubeleben. Knigges Wirken stand, so lässt sich in Umrissen ersehen, im Zentrum dieses Konflikts. Nach den Aussagen der anwesenden Mitglieder hatte er versucht, heimlich alle Ordensgeschäfte vor Ort unter seine Kontrolle zu bringen und darüber hinaus eine gänzlich neue Minervalkirche unter Ausschluss der bisher Aktiven zu errichten. Die Konstituierung der neuen Minervalkirche wurde daher auch nur unter der Versicherung der Oberen vollzogen, dass Knigge nichts mehr mit der Präfektur zu tun haben werde (Vgl. J.P.C. Müllers Bericht vom 15.6.1783).
Ihr Gegengewicht finden diese Dokumente in der vorliegenden Textauswahl mit den vier von Frankfurt aus verfassten Inspektionsberichten Knigges aus den Jahren 1781 und 1782. Im Juli 1781 berichtet er bereits, dass die meisten Mitglieder der örtlichen Minervalkirche, die beinahe ausnahmslos deckungsgleich mit den Aktiven und der Führungsebene 1783 sind, unbrauchbar für den Orden seien. Einzig lobend hebt er Simon Friedrich Küstner und Johann Friedrich Piehl hervor (Vgl. Knigge, Inspektionsbericht vom 11.7.1781). Während Ersterer später in der „zweiten“ Frankfurter Minervalkirche im Amt des Sekretärs aktiv im Magistrat der Gruppe mitwirkt, erklärte Letzterer noch zu Beginn der neu konstituierten Kirche, dass er, ehemaliger Censor und Teil der bisherigen lokalen Führungsriege, künftig nichts mehr mit dem Orden zu tun haben wolle (Vgl. J.P.C. Müllers Bericht vom 23.6.1783).
Im September 1781 schien sich die Lage noch deutlicher zugespitzt zu haben, denn nun verkündete Knigge, dass er wegen einer generellen Nachlässigkeit aller Mitglieder der Minervalkirche diese verlassen habe und keine Quibus Licet mehr von ihnen annehmen werde, bis eine deutliche Besserung eingetreten wäre. Darüber hinaus hoffe er mit der Hilfe Leonhardis und Küstners, bald eine neue Gruppe ohne die anderen bisherigen Mitglieder aufbauen zu können (Vgl. Knigges Inspektionsbericht vom 10.9.1781). Beide sollten zwei Jahre später höhere Ämter in der „zweiten“ Minervalkirche innehaben.
In den Berichten Knigges vom Oktober 1781 und August 1782 findet sich kein Wort mehr zu der Minervalkirche in Frankfurt, obwohl er in beiden Fällen noch vor Ort lebte und im Orden für die Provinz zuständig war. Ab Februar 1783 kamen seine Inspektionsberichte aus Heidelberg. An diesen Weggang knüpfen jedoch drei Inspektionsberichte Stolberg-Roßlas ab März 1783 an. Dieser erwähnt explizit in dem ersten Inspektionsbericht vom 5. März 1783 über den vorherigen Monat, dass sich Knigge künftig nicht mehr mit Edessa abgebe (Vgl. Stolberg-Roßlas Inspektionsbericht vom 5.3.1783.
Stolberg-Roßlas Berichte geben weiteren Aufschluss über die Entwicklung vor Ort. Auch er kritisiert die lokale Niederlassung und die aktiven Mitglieder stark und spricht ihnen direkt oder indirekt durch die Einschätzungen Dritter den Wert für den Orden ab. Besonders deutlich wird dies durch Zeilen wie:
Alles lesen wollen, über alles lachen, alles tadeln und doch nichts thun, ist, nach Valerius [i.e. Ditfurth], der Geist der Edesser. [Stolberg-Roßla, Inspektionsbericht vom 27.3.1783]
oder
Das alte Elend! Alles ist confus. […] Alle Bbr. sind gegen einander, fast alle kalt, aufgebracht. Mittelmäßige Leute stehen oben, und andre, die ich aus Briefen als kluge und wohldenkende Männer habe kennen lernen, stehen unten und werden versäumt. Kurz der Geist der Verwirrung herrscht da im höchsten Grade. [Stolberg-Roßla, Inspektionsbericht vom 5.3.1783]
Konkreter werden die Konfliktlinien und die Probleme vor Ort indes nicht benannt, es findet sich nur eine Andeutung Hetzlers, dass in der Gruppe zu viele Reformierte seien, die herrschen wollten und ein vager Verweis auf Schwierigkeiten mit München. Im selben Bericht schreibt Stolberg-Roßla, dass alles so schön angelegt sei, den Orden auf ewig aus dieser Stadt zu verbannen und ergänzt im folgenden Bericht, Ditfurth und er kämen darüber hinaus zu dem Schluss, dass keinem Edesser, insbesondere nicht Hetzler, der Priester- und Regenten-Grad gegeben werden solle. Dem steht entgegen, dass Knigge nach Stolberg-Roßlas Kenntnisstand schon längst für diese um Erlaubnis gebeten hatte (Vgl. Stolberg-Roßlas Inspektionsbericht vom 27.03.1783). Im April 1783 berichtet Stolberg-Roßla weiter, dass Johann Leopold Bleibtreu, wie schon im März angekündigt, nun vor Ort sei und sein Möglichstes versuche, Ordnung zu schaffen (Vgl. Stolberg-Roßla, Inspektionsbericht vom 18.4.1783).
Berichte zum Konvent von Wilhelmsbad
Eine Gelenkfunktion gewinnen im hier vorgelegten Materialcorpus die Berichte rund um den Konvent von Wilhelmsbad bei Hanau im Sommer 1782. Für die kontinentaleuropäische Hochgradfreimaurerei wurde der mehrwöchige Kongress zur inneren Zerreißprobe, die die Strikte Observanz – gestützt auf nicht länger haltbaren Behauptungen von Wurzeln im Templerorden der Kreuzzugszeit, war sie das große Hochgradsystem der letzten beiden Jahrzehnte gewesen – nicht überleben sollte. Um das Geschichtsangebot, welches die Ursache des Streits war, ging es dabei nur zum Teil. Die Darlegungen drehen sich um Betrüger in der Freimaurerei, um Schwärmerei und damit um bislang in den Konfessionen ausgetragene Konflikte. All dies überlagert von persönlichen Befindlichkeiten zwischen hochrangigen Teilnehmern, die sich gegenseitig nicht angemessen respektiert sahen und mitten im Zusammenbruch der Strikten Observanz um den Zuschnitt zukünftiger Provinzen rangen.
Im ausgewählten Materialkomplex stehen hier Knigges Beobachtungen unmittelbar neben denen Franz Dietrich Freiherr von Ditfurths. Beide waren hochrangige Illuminaten, die mit ihren Berichten direkt an Weishaupt rapportierten – und die, wie aus den Dokumenten sichtbar wird, einander mit deutlicher Skepsis beobachteten. Knigge sollte am Rand des Konvents bahnbrechend J.J.C. Bode für den Orden gewinnen, der im Auftrag Ernst II. von Gotha am Konvent teilnahm, und Bode sollte wiederum im Verlauf Ferdinand von Braunschweig und Carl von Hessen-Kassel, die führenden Repräsentanten der Strikten Observanz auf dem Konvent, in den Illuminatenorden bringen und damit den Orden in eine innere Zerreißprobe führen.
In Ditfurths Bericht tauchen all diese Beteiligten auf – nun kritisch von Ditfurth beobachtet, dessen Wirken Knigge kritisch kommentiert. Ditfurths Bericht wird sich so schnell nicht zusammenfassen lassen. Auf 34 Seiten Manuskript wurde hier, ohne sichtbare Gliederung, eine Aneinanderreihung von Augenblickswahrnehmungen und Gesprächsfetzen, die den Autor aufrüttelten, sowie Charakterisierungen der Teilnehmer Weishaupt vorgelegt. Bode erscheint in diesem Gewirr als pragmatischer Politiker, der den ganzen Kongress rettet, als er allen nahelegt, hier erst einmal frei zu sprechen und später für sich zu entscheiden, welchem maurerischen System sie in Zukunft anhängen wollen. Mit Ferdinand von Braunschweig und Carl von Hessen-Kassel gerät Ditfurth in den unter höflichen Repliken verborgenen offenen Konflikt. Knigge als über Dritte informierter Beobachter nimmt Ditfurth inmitten dieser Konflikte als jemanden wahr, der sich öffentlich unmöglich macht.
Für den Illuminatenorden wurde der Konvent ein heimlicher Wendepunkt. In Knigges Bericht für den Januar 1783 wird das spektakulär deutlich. Während Ditfurth sich, so Knigges (mit Vorsicht zu lesende) Darstellung, mit seinem konfrontativen Auftreten erst einmal unmöglich machte, soll doch seltsam verbreitet bekannt gewesen sein, dass es den Orden gab, so bekannt, dass er, Knigge, am Rande von allen möglichen Seiten aus kontaktiert und mit Aufnahmeanträgen überhäuft worden sei:
Mit den Cheffs des Zinnendorfischen Systems nahm ich Gelegenheit, einen Briefwechsel anzufangen, den ich auch noch jetzt fortsetze. Die Emissarien anderer Gesellschaften forschte ich theils durch andere Wege aus, theils hatten sie selbst das Zutrauen zu mir, sich mir zu entdecken, weil sie von mir wußten, daß ich mich nicht aus Eigennutz, sondern aus Eifer für die gute Sache dabey interessiere. Die Deputierten im Wilhelmsbad aber kamen fast alle zu mir, und da sie | (ich weiß nicht woher) Nachricht von der Existenz unsrer Verbindung hatten; so bathen sie mich alle, auch der [Prinz Carl] von H[essen], um die Aufnahme. Nun hielte ich es am beßten gethan, daß ich die Mehrsten einen Revers unterschreiben ließ, ihnen also Stillschweigen auferlegte, aber keinem einzigen von ihnen, während der Convent-Zeit das geringste schriftlich mittheilte. Dieß that ich, und redete nur im allgemeinen mit ihnen. [Transkript]
Wollte Weishaupt seine Organisation eher aus reinem machtpolitischen Kalkül mit der Aura großer Geheimnisse ausgestattet haben, um das gegnerische Lager zu infiltrieren, so wird aus diesem Kalkül unter der Hand ein kaum kontrollierbares Anliegen – der Orden verändert sich mit der rasanten Aufnahmepraxis und droht unregierbar zu werden, nun nachdem er Regenten aufnimmt und ein ganzes, soeben scheiterndes, von „Schwärmerei“ durchdrungenes System als Führungsebene importiert.
Die Sitzungsprotokolle aus Gotha und Weimar
Die Sitzungsprotokolle aus Gotha und Weimar tun Schritt in die letzte Phase des Ordens. Knigge hatte Bode für den Orden am Rand des Konvents von Wilhelmsbad gewonnen. Im Herbst 1782 hatte dieser Ernst II. dazu bewegt, sich auf das Experiment Illuminatenorden einzulassen. Gothas Minervalversammlung sollte der Testfall und Zentrum der Ordensarbeit in der neuen Provinz Ionien werden, die Bode binnen zweier Jahre aufbaute, und die nach seinen Planungen von Weimar regiert bis nach Berlin im Norden und Dresden im Osten reichen sollte. Während das Experiment in Gotha und im Verlauf in Erfurt, Rudolstadt und Jena glückte, sollte es in Weimar scheitern, trotz oder vielleicht gerade wegen der berühmten Teilnehmer, die hier mit Goethe und Herder die hohen Ränge der Weimarer Minervalkirche hätten bekleiden sollen. Diese Entwicklungen zeichnen sich in den ausgewählten Protokollen noch nicht ab. Sie geben Einblick in die konkreten ersten Schritte mit denen in Gotha und Weimar Minervalkirchen geplant wurden. Man agierte jeweils aus dem Magistrat von oben herab. Die Gothaer Magistratsberichte werfen dabei ein Licht auf die Infiltration, die der Orden meisterte. Es geht hier en passant um Konflikte zwischen der Gothaer und der Loge Altenburger Freimaurer-Loge. Die Freimaurerei gewinnt eine geheime Dachebene über die der Orden Einblicke erhielt. Das Protokoll vom Dezember 1784 gibt einen Einblick in die Themen der auf den Minervalsitzungen gehaltenen Vorträge und eine kurze Schilderung der Neuaufnahmen. Das Protokoll aus Weimar berichtet von der Sitzung am 17. März 1785, auf der die Verfolgungen Weishaupts, die Gründung einer Filiale in Jena, die studentische Freimaurer aufnehmen solle, und die Konstituierung der eigenen Minervalkirche in Weimar Thema waren. Die hier gegebene Auswahl ist dabei mittlerweile eingeholt von der Erschließung, mit der Markus Meumann, Olaf Simons und Christian Wirkner sämtliche Sitzungsprotokolle des 15. Band der Schwedenkiste auswerteten, um hier die behandelten Aufsätze genauer zu lokalisieren.
Einige Bemerkungen zur technischen Realisation und zu Problemstellen der Datenbanksoftware, die hier zur Nutzung kommt
Die Aktenlage des Illuminatenordens war für mich zu Beginn des Praktikums so neu wie die hier zum Einsatz kommende Technik. Desiderate der Plattform, die nun Zugriff auf die eingebrachten Transkripte und die mit ihnen korrespondierenden Datenbankobjekte erlaubt, sind bereits im Blog, in dem dieser Beitrag erscheint, notiert:
Desiderat 1: Eine Präsentationssoftware, die Transkripte und Objektdaten sichtbar macht
Wikibase verbindet ein konventionelles Media-Wiki, wie es die Wikipedien zum Einsatz bringen, mit einer Wikibase Datenbank. Das FactGrid nutzt beide Bereiche integrativ, das heißt, ich legte für die Transkripte MediaWiki Seiten mit dem aus den Wikipedien bekannten Text Markup an und koppelte diese an Datenbankobjekte, im Konkreten zu den Dokumenten und den nachweisbaren Ereignissen.
Die Koppelung erlaubt es zwar, in der Volltextsuche auf beides, also die Datenbankobjekte zu den Dokumenten und Transkriptseiten, zuzugreifen, aber beide sind lediglich mit wechselseitigen Links aneinander gebunden. Befindet man sich auf einer Textseite, muss man über den Metadaten-Link im Seitenbeginn in den Datensatz hinüberschalten, erst dort stehen die Angaben zu Datum, Autor, Quelle und allen weiteren Informationen.
Was der Software an dieser Stelle fehlt ist eine Präsentationssoftware, die die Informationen aus den Datenbankobjekten geordnet lesbar macht und die dabei in der Lage ist, die Transkripte sichtbar zu machen und auf Wunsch des Lesers zur Gänze einzuspielen.
Desiderat 2: Eine Vorbefüllung der Datenbank, die großflächig Personen zur Verfügung stellt, auf die nun nur noch verlinkt werden muss
Das wohl zeitintensivste Arbeitshemmnis des FactGrid im gegenwärtigen Zustand ist die immer noch zu geringe Anzahl der bereits vorhandenen Datenbankobjekte. Die Dichte bereits vorhandener Personen ist zwar im Projektfeld Illuminatenorden ausgesprochen hoch, doch fehlen im selben Moment kontinuierlich Personen, die hier nur am Rand auftauchen, eigentlich jedoch Schlüsselfiguren der deutschen Geschichte des 18. Jahrhunderts sind. Die Recherche dieser Personen in der GND und Wikidata war in der Regel kein Problem, die Personen mit den hier auffindbaren Daten im FactGrid als aussagekräftige Objekte anzulegen blieb jedoch mühselig und fehleranfällig. Das Problem scheint seit den ersten Editiervorgängen allen in der Datenbank vertraut – das Projekt, die gesamte GND zu importieren, trägt ihm Rechnung, doch bleibt die nützliche breite Datenlage im Moment ein Desiderat.
Desiderat 3: Eine Benutzeroberfläche, die zu guten Datenstrukturen Rat gibt
Wikibase ist konsequent Triple-basiert, theoretisch lassen sich ganz beliebige Aussagen zu ganz beliebigen Objekten formulieren. Tatsächlich lassen sich damit identische Sachverhalte jedoch nicht minder auch ganz unterschiedlich ausdrücken – etwa in sehr definierten Tripeln oder in allgemeineren Tripeln, bei denen man mit Qualifikatoren Kontexte näher bestimmt. Verschiedene Formulierungen von parallelen Aussagen finden sich in der Folge. Zu ihrer Vielzahl kam es offenbar vor allem, weil die Quellenlage mal die eine und mal die andere Variante einer Formulierung nahelegte und von hier aus dann als Muster auf weitere Bearbeiter wirkte.
Dadurch, dass es keine einheitlichen Standards bei der Erstellung von Statements gibt, kam es häufiger zu uneindeutigen oder inhaltlich identischen Aussagen oder Redundanzen, deren Erfassung eine gewisse Zeit im Arbeitsprozess beansprucht. Auch gibt es keine klaren Vorgaben, welche Informationen aus Texten in welcher Form in Triples verwandelt und an anderer Stelle rezipiert werden sollen. Diese freie Gestaltungsmöglichkeit kann gleichzeitig als Vor- und Nachteil betrachtet werden, da die Software der eigenen Arbeit und Weiterentwicklung schon bestehender Arbeit in ihrer sehr offenen Komplexität kaum Grenzen setzt, jedoch im Vergleich zu sehr standardisierter Arbeit deutlich voraussetzungsreicher ist und laufende Seitenblicke auf bestehende Objekte einfordert, um einen passenden Umgang zu finden. Man lernt hier eher eine Sprache möglicher Aussagen, die jederzeit erweitert und präzisiert werden kann, als dass Eingabeschablonen abgearbeitet werden. Das Desiderat könnte an dieser Stelle ein Sowohl-als-auch sein, eine Plattform, die für erste Objekterschließungen Eingabeschablonen gibt, die grundlegend konsistente Datenobjekte in den Basisdaten herstellen, während man bei weiterer Erforschung jederzeit dazu übergehen könnte, Aussagen nach eigenem Interesse und Nutzen bei der Materialdurchdringung frei zu formulieren.