Von Anne Greule (Friedrich-Schiller-Universität Jena) und Wolfgang Runschke (Forschungsbibliothek Gotha)
Veranstaltet vom Netzwerk digitale Geisteswissenschaften an der Universität Erfurt / Projekt „Digitale Edition der Briefe Erdmuthe Benignas von Reuß-Ebersdorf“ an der Universität Jena (DHnet Jena)
Am 23. Juni 2015 trafen sich an der Universität Erfurt zahlreiche VertreterInnen von Arbeitsgruppen aus dem Bereich der Digital Humanities an thüringischen Hochschulen, Kultur-, Infrastruktur- und Forschungseinrichtungen. Eingeladen hatten Hendrikje Carius und René Smolarski im Namen des ‚Netzwerks digitale Geisteswissenschaften an der Universität Erfurt‘ und Martin Prell im Namen des ‚DHnet Jena‘. Ziel war eine Bestandsaufnahme der laufenden Projekte und digitaler Infrastrukturen sowie ein fachlicher Austausch im Hinblick auf mögliche Kooperationen und Synergieeffekte.
Susanne Rau (Erfurt), Vizepräsidentin für Forschung und Nachwuchsförderung an der Universität Erfurt, gab in ihrer Begrüßung die Richtung vor: Es gelte auszuloten, welche Rolle Digital Humanities künftig in den Geisteswissenschaften in Thüringen spielen sollen.
Ebenso wie an der Universität Erfurt hat sich 2015 auch an der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena ein Netzwerk etabliert. Beide entstanden durch Zusammenschluss von Einzelprojekten. René Smolarski (Gotha) skizzierte für Erfurt/Gotha die bisher geleistete Aufbauarbeit und die geplanten weiteren Schritte, während Barbara Aehnlich (Jena) und Martin Prell (Jena) die Struktur und die Ziele des Jenaer Netzwerks ‚DHnet‘ vorstellten. Fachspezifisch reichen die Kontakte längst über die Landesgrenzen hinaus. Eine Definition von Digital Humanities wurde wohlweislich vermieden, wie auch die im Folgenden vorgestellten Projekte den Grad der Einbindung von IT sehr unterschiedlich handhabten.
Angela Hammer (Jena) stellte die multimedialen Dienstleistungen der Thüringischen Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) vor. Das Portfolio der Plattform UrMEL enthält Angebote zur Digitalisierung und Präsentation von Kulturgütern der Region und liefert die entsprechend angepasste Infrastruktur für unterschiedliche fachspezifische Anforderungen. Die ThULB Jena bietet Unterstützung vom Projektdesign bis hin zur Langzeitarchivierung und Nachnutzung der Daten.
Stephan Jäger, Stephan Tröbs und Claus Peter Willich (alle Erfurt) von der Projektgruppe Digitalisierung des Museumsverbandes Thüringen e. V. berichteten von der digitalen Erfassung dreidimensionaler Objekte an wechselnden Orten im Freistaat, die in die Entwicklung der Museumsdatenbank digiCULT eingebunden ist.
Jeannette Godau (Weimar) stellte das Digitale Archiv der Reformation vor. In diesem Gemeinschaftsprojekt des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar, des Hessischen Staatsarchivs Marburg, des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt und der ThULB Jena werden Visitationsprotokolle aus der Zeit von 1528 bis 1564 präsentiert. Diese Quellen gelten als instruktive Schlüsseldokumente zur Durchsetzung der lutherischen Lehre. Die Dokumente sind georeferenziert, so dass Ortschaften über eine Karte gesucht werden können; die Personen wurden mit Normdaten verknüpft. Darüber hinaus werden Transkriptionen in modernem Deutsch und Literaturhinweise angeboten.
Zudem arbeiten die sechs Thüringischen Staatsarchive und die ThULB Jena an der Digitalisierung aller seriellen gedruckten Quellen zur parlamentarischen Geschichte Thüringens und seiner Vorgängerstaaten. Die Titel historischer Gesetze sind in XML erfasst und recherchierbar. Um die Zugänglichkeit zu den Quellen zu erleichtern, werden sukzessive die vorhandenen Register abgeschrieben. Perspektivisch ist geplant, soweit möglich, die Texte mit OCR aufzubereiten. Die Zugänglichkeit wird durch ein Gesamtregister erleichtert und soll auch solche Texte erfassen, die noch kein Register haben. Als Zielgruppe sollen neben den in Forschung und Lehre Tätigen auch JuristInnen angesprochen werden.
In Kooperation mit dem digiCULT-Verbund nahm ANDREAS CHRISTOPH (Jena) vom Ernst-Haeckel-Haus der Friedrich-Schiller-Universität Jena die objekt- und sammlungsbezogene Wissenschaftsgeschichte in den Blick. In Zusammenarbeit mit Studierenden entstanden Objektbiographien, die in digiCULT.web und übergeordnete Portale wie die Deutsche Digitale Bibliothek eingespeist wurden.
Derzeit ist ein Kartenportal in Vorbereitung, das Bestände aus Bibliotheken, Archiven und Museen erfasst. Angesiedelt am Leopoldina Studienzentrum für Akademien- und Wissenschaftsgeschichte, ist das Kartenportal ein Produkt der Projektgruppe ‘Kartenarchiv Plus’, die historische Kartenmaterialien, Manuskripte, Periodika, Reisetagebücher u. a. virtuell verfügbar macht. Vor der wissenschaftlichen Erschließung dieser historischen Bestände steht hier zunächst die grundlegende Erfassung und Anreicherung mit umfangreichen Metadaten an, die Grundlagen für Visualisierungen in Form von Zeitleisten, Verknüpfungen zu Zusatzmaterialien, Registereinträgen, Transkriptionen sowie Digitorials sind.
René Smolarski (Gotha) berichtete über das ‚Virtuelle Kartenlabor‘, das mit rund tausend Digitalisaten von Karten und ergänzenden Archivalien aus der Sammlung des ehemaligen Verlags Justus Perthes experimentiert. Erprobt werden sollen dabei, neben verschiedenen Möglichkeiten der Anreicherung und Präsentation, auch sogenannte „webbles“: kleine webbasierte Anwendungen, die von externen Nutzern frei konfigurier- und kombinierbar sind.
Die Forschungsbibliothek Gotha entwickelt ihre digitalen Dienstleistungen insbesondere im Rahmen des Projekts zum Ausbau zur Forschungs- und Studienstätte für die Kulturgeschichte
des Protestantismus in der Frühen Neuzeit weiter. Wie Hendrikje Carius (Gotha) erläuterte, soll eine virtuelle Forschungsumgebung für die Edition, Präsentation und Erforschung der historischen Sammlungen der Bibliothek angeboten werden. Gemeinsam mit Partnern wird dabei für den Bereich Frühe Neuzeit eine generische Plattform für digitale Editionen erarbeitet.
Goethes Briefwechsel mit Friedrich Wilhelm Riemer steht im Focus einer Hybrid-Edition von Hector Canal (Weimar) aus dem Goethe- und Schiller-Archiv Weimar. Es handelt sich um ein Korpus von rund 500 Briefen pragmatischen Inhalts, die Rückschlüsse auf die Genese der Werke Goethes zulassen und die bisher nicht veröffentlicht worden sind. Dabei nutzt Canal alle in digitalen Editionen gängigen Möglichkeiten der Anreicherung, Präsentation und Kommentierung aus.
Christian Hain (Weimar) von der Klassik-Stiftung Weimar berichtete von der Erschließung der etwa 20.000 an Goethe gerichteten Briefe mithilfe von Regesten. Die bisher nur im Druck erschienenen Regestenbände werden nunmehr auch zu großen Teilen online in Form einer Oracle-Datenbank veröffentlicht.
Das Projekt von Vera FaSShauer, Daniela Prutscher und Henry Seidel (alle Jena), angesiedelt an der Friedrich-Schiller-Universität, untersucht die Korrespondenz von 24 Fürstinnen des mitteldeutschen Raumes aus sprachwissenschaftlicher Sicht. Bearbeitet wird ein Korpus von 5.500 Briefen. Zur Analyse wurden über 260.000 Tokens gebildet, die den aus Digitalisaten transkribierten Fließtext um Informationen zu Wortart, Syntax und Themengruppen erweitern. Die Daten werden in der Datenbank ANNIS graphisch aufbereitet und im Repositorium LAUDATIO veröffentlicht und stehen damit anderen Projekten zur Nachnutzung zur Verfügung.
Einen linguistischen Ansatz verfolgt auch Barbara Aehnlich (Jena), die sich mit der Vermittlung des römischen Rechts in den frühneuhochdeutschen Drucken des Klagspiegels von Conrad Heyden und des Laienspiegels von Ulrich Tengler beschäftigt. Das Setzen von Tokens für die juristischen Fachbegriffe erfolgt halbautomatisch. Das von ihr eingesetzte Tool LAKomp ist auf die Analyse von Sprachvarianten und Varianten der Grapheme trainiert und lernt im Prozess mit.
Martin Prell (Jena) legt in seiner digitalen Edition der Briefe Erdmuthe Benignas von Reuß-Ebersdorf (1670-1732), die unter anderem einen Beitrag zur Sichtbarmachung der historischen Vielfalt Thüringens (weiblich, reußisch, pietistisch) und der Frage nach der Ausgestaltung weiblicher Regentschaft um 1700 liefern soll, einen Akzent auf die Kombination von digitalem Faksimile, Transkription und Kommentar, da für ihn der optische Befund eine wichtige Rolle bei der inhaltlichen Analyse spielt. Um die Handlungsfelder weiblicher Regentschaft auf kleinstaatlichem Gebiet sichtbar zu machen, werden auch ausgewählte nicht-briefliche Dokumente wie Protokolle, Verordnungen und Karten eingebunden.
Die Korrespondenz des Illuminatenordens wird von Olaf Simons (Gotha) am Forschungszentrum Gotha mit Hilfe eines öffentlich zugänglichen Wikis aufgearbeitet. Damit können Interessierte sich an der Transkription von Texten beteiligen. Das Projekt ist also als Work in Progress angelegt; der aktuelle Stand kann dabei mit der Protokollfunktion überprüft werden. Auf eine vollständige Aufarbeitung des Korpus wird zugunsten der Edition besonders interessanter Stücke verzichtet. Rückverfolgbare Links erlauben das nachträgliche Anreichern und Zusammenführen von Dokumenten mit neuen Informationen. Wechselbeziehungen können aus verschiedenen Perspektiven visualisiert werden.
Swantje Dogunke (Weimar) vom Forschungsverbund Marbach-Weimar-Wolfenbüttel widmet sich der Aufgabe, die im Verbund vorhandenen Datenbanken besser sichtbar zu machen und neue Projekte einzubinden. Verschiedene Zielgruppen sollen dabei bedarfsorientiert unterstützt werden. Das Portal soll Beratung und Tools anbieten und damit eine virtuelle Forschungsumgebung schaffen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf einer verlässlichen Datenhaltung.
Die anschließende Diskussion beinhaltete die Möglichkeiten, Vorteile und Strategien einer thüringenweiten Vernetzung der einzelnen DH-Arbeitsgruppen. Außerdem wurden die Bereitstellung einer kooperativ angelegten, gesicherten und nachhaltigen technologischen Infrastruktur und die Einrichtung von Beratungsangeboten thematisiert.
Kurzübersicht
Einführung
Susanne Rau (Universität Erfurt). Begrüßung
Hendrikje Carius (Forschungsbibliothek Gotha): Begrüßung durch das Netzwerk digitale Geisteswissenschaften an der Universität Erfurt
DH-Netzwerke in Thüringen
René Smolarski (Forschungszentrum Gotha): Netzwerk Digitale Geisteswissenschaften an der Universität Erfurt
Barbara Aehnlich, Martin Prell (Friedrich-Schiller-Universität Jena): DHnet Jena
Vorstellungen I
Angela Hammer (Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena): Universal Multimedia Electronic Library (UrMEL)
Stephan Jäger, Stephan Tröbs, Claus Peter Willich (Museumsverband Thüringen e.V., Erfurt): Projektgruppe Digitalisierung des Museumsverbandes Thüringen e. V.
Lydia Koglin, Rebekka Ladewig (Bauhaus-Universität Weimar): Virtual Laboratory. Essays and Resources on the Experimentalization of Life, 1830-1930
Lydia Koglin, Rebekka Ladewig (Bauhaus-Universität Weimar): Virtuelle Forschungsumgebung zur Mediengeschichte
Jeanette Godau (Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar): Digitales Archiv der Reformation
Jeanette Godau (Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar): Thüringen – legislativ & exekutiv
Andreas Christoph (Ernst-Haeckel-Haus Jena): digiCULT
Andreas Christoph (Ernst-Haeckel-Haus Jena): Kartenarchiv Plus
Vorstellungen II
René Smolarski (Forschungszentrum Gotha): Virtuelles Kartenlabor
Hendrikje Carius (Forschungsbibliothek Gotha): Studienstätte Protestantismus
Hector Canal (Goethe- und Schiller-Archiv Weimar): Hybridedition Johann Wolfgang von Goethe. Briefwechsel mit Friedrich Wilhelm Riemer
Vera Faßhauer, Daniela Prutscher, Henry Seidel (Friedrich-Schiller-Universität Jena): Frühneuzeitliche Fürstinnenkorrespondenzen im mitteldeutschen Raum
Martin Prell (Friedrich-Schiller-Universität Jena): Digitale Edition der Briefe Erdmuthe Benignas von Reuß-Ebersdorf (1670-1732)
Barbara Aehnlich (Friedrich-Schiller-Universität Jena): Sprachwissenschaftliche Untersuchungen zum Klagspiegel Conrad Heydens (1436) und zum Laienspiegel Ulrich Tenglers (1509)
Christian Hain (Klassik Stiftung Weimar): Briefe an Goethe in Regestform. Erschließung – Edition – Digitale Präsentation
Olaf Simons (Forschungszentrum Gotha): Gothaer Illuminaten-Enzyklopädie Online
Diskussion
Zuerst erschienen in:
Tagungsbericht: Digital Humanities in Thüringen, 23.06.2015 Erfurt, in: H-Soz-Kult, 13.11.2015, <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6239>.